Das ASM-Jahr beginnt traditionell mit einem Galakonzert des Schwäbischen Jugendblasorchesters. Unter der Leitung seiner Dirigentin Dr. Verena Mösenbichler-Bryant setzte das SJBO gleich zu Jahresbeginn ein echtes Ausrufezeichen.
Der Spannungsbogen beim diesjährigen Galakonzert des Schwäbischen Jugendblasorchesters am Dreikönigstag lässt sich einfach beschreiben: Der Applaus nach dem ersten Stück, dem Konzertmarsch »Elysion« von Sebastian Schraml, war mit ersten begeisterten Rufen durchsetzt. Am Ende des Konzerts applaudierten die 540 Zuschauerinnen und Zuschauer (so viele haben im Günzburger Forum am Hofgarten Platz) minutenlang stehend – »Bravo!«-Rufe inklusive. Dazwischen lag ein etwa zweieinhalbstündiges, mitreißendes Programm.Es ist nicht bekannt, wie sportlich die SJBO-Dirigentin Dr. Verena Mösenbichler-Bryant ist. Aber den Spagat beherrscht sie in Perfektion: Es ist nämlich gar nicht so einfach, ein Programm für ein Orchester wie das Schwäbische Jugendblasorchester zusammenzustellen. Einerseits wollen die Musikerinnen und Musiker »gefüttert« und gefordert werden.
Das Repertoire muss auf jeden Fall im Niveau über dem liegen, was die SJBO-Mitglieder »zu Hause« spielen – und auch die Heimatkapellen sind teils in der Höchststufe angesiedelt. Als Fortbildungsorchester muss das SJBO darüber hinaus auch den Horizont seiner Mitglieder erweitern. Andererseits wünscht sich das Publikum ein Programm, das beim Zuhören keine Hochschulausbildung erfordert, sondern auch Geschwistern, Mamas, Papas, Omas und Opas gefällt. Onkeln und Tanten natürlich auch.
Gut, dass das SJBO mit Dr. Verena Mösenbichler-Bryant eine internationale Fachkraft zur Verfügung hat, deren Repertoirekenntnis weit über den europäischen Tellerrand hinausreicht: Einen großen Teil der Stücke, die in Günzburg auf dem Programm standen, sucht man bei den einschlägigen hiesigen Notensortimentern vergeblich. So betraten nicht nur die Musikerinnen und Musiker auf der Bühne Repertoire-Neuland, sondern auch die Zuschauer im bis auf den letzten Platz besetzten Forum am Hofgarten.
Moderatorin Julia Plail, die sich mit Luis Haupt abwechselte, versprach nach dem Eröffnungsmarsch ein wahres Klangfeuerwerk und eine Rakete nach der anderen. Mit Dmitri Schostakowitschs »Festive Ouvertüre« und Percy Aldridge Graingers »Irish Tune from County Derry« folgten zwei echte Klassiker – und bis zu den Zugaben die letzten weithin bekannten Werke. Vor der Pause kündigte sich mit der »Steampunk Suite« die erste Brillantrakete an. Es lohnt sich, den Begriff »Steampunk« bei Wikipedia nachzulesen, da heute eine ganze Palette von Bedeutungen damit verbunden ist. Grob gesagt werden in dem Werk fiktive Begegnungen historischer Persönlichkeiten zur Zeit der Dampfmaschinen erzählt. Dementsprechend spielen Maschinen eine zentrale Rolle in der Musik – große, gewaltige, laute Maschinen mit einer bisweilen chaotisch anmutenden Mechanik. Alles andere als mechanisch klang die Musik, die das SJBO auf die Bühne stellte: Die rhythmisch komplexen und harmonisch ungewöhnlichen Strukturen beschworen das aus manchem Film bekannte Bild von unnötig komplizierten Maschinen herauf. Was ein bisschen nach Chaos klang (und manchmal auch nach den mechanischen Orchestern, die auf der »Oidn Wiesn« zu bewundern sind), folgte jedoch einer strengen Ordnung und war in Wahrheit eine fein austarierte Klangmalerei zwischen verschiedenen Registern und Solisten. »Das war schon nicht so leicht«, bestätigte die Dirigentin in der Pause noch leicht erhitzt.
Nach der Pause präsentierte das Orchester ein Werk des Ehemanns der Dirigentin, der selbst im Publikum saß: Steven Bryant nahm den begeisterten Applaus des Publikums für »In this broad Earth« entgegen und gab ihn – selbst applaudierend – ans Orchester weiter. Mit »Eastbound« folgte ein Ausflug nach Tokio, bei dem verschiedene Aspekte des Lebens in der japanischen Metropole eindrucksvoll beschrieben wurden. Die belebten, quirligen Straßenzüge wurden ebenso geschildert wie Orte der Stille. »Unquiet Hours« ragte etwas aus dem Programm heraus und wurde so etwas wie ein "stiller Star" des Konzerts. Als Ruhepol war David Biedenbenders Werk das Pendant zu »Irish Tune from County Derry« in der ersten Konzerthälfte. »Wenn der Lärm der Vergangenheit und die Unsicherheit der Zukunft immer lauter werden, überdecken sie den Augenblick. Dann ist es Zeit, zuzuhören und die Stille zu suchen. Und am Ende geht es um Empathie«, erklärte Julia Plail. Tatsächlich schuf das Orchester inmitten der Raketenkracher mit leisen Tönen einen emotionalen Höhepunkt im Konzertprogramm.
Freilich hatte das SJBO mit »Un Cafecito« von Dennis Llinas eine tänzerisch-mitreißende musikalische Einladung zum Kaffee und damit auch noch ganz andere Klänge im Programm. Das letzte Stück »Come Sunday« war eine Verneigung vor der Hammond-Orgel, die üblicherweise eine Hauptrolle bei den Gottesdiensten der afroamerikanischen Bevölkerung der USA spielt: Geradezu ekstatisch zelebrierte das Orchester die Interaktion zwischen Prediger, Chor und Gemeinde. Mancher Zuhörer hätte wohl gern laut »Halleluja!« in den Saal gerufen. Dazu kam es nicht, aber der tosende Applaus, der nach dem Schlussakkord aufbrandete, bestätigte, dass das Orchester die Energie der Komposition erfolgreich aufs Publikum übertragen hatte.
So kurz nach dem Jahreswechsel gab es als erste Zugabe den »Radetzky-Marsch«, bei dem Dr. Verena Mösenbichler-Bryant neben dem 75-köpfigen SJBO auch die 540 Zuschauerinnen und Zuschauer dirigierte, die die dynamischen Anweisungen der Dirigentin perfekt umsetzten. »Wer hat an der Uhr gedreht« aus den Paulchen-Panther-Sendungen setzte den Schlusspunkt unter ein außergewöhnliches Konzert. Das Versprechen »Heute ist nicht alle Tage – wir kommen wieder, keine Frage!«, das einer der Musiker als Antwort auf das gesungene »Ist für heute wirklich Schluss?« rief, wird als Abschluss der SJBO-Herbstarbeitsphase am 8. September im Wolfgang-Eychmüller-Haus in Vöhringen eingelöst.
Die nächste Arbeitsphase wird von 2. bis 8. September in der Volksmusikakademie in Bayern im niederbayerischen Freyung stattfinden. Die Ausschreibung wird rechtzeitig an die SJBO-Poolmitglieder verschickt. Wer im SJBO mitspielen möchte, muss ein Probespiel absolvieren. Interessierte Musikerinnen und Musiker können sich diesbezüglich jederzeit per E-Mail bei den Orchestersprechern melden (sjbo@asm-online.de).
(Text & Fotos: Martin Hommer)